Erntedank, Luther und die Euro-Krise

Aller Augen warten auf dich, und Du gibst ihnen ihre Speise zur rechten Zeit. Du tust Deine Hand auf und sättigst alles, was lebt, mit Wohlgefallen. (Psalm 145: 15 – 16)

Unser tägliches Brot gib uns heute. ( Matthäus 6: 11 )

Zum Erntedankfest hier ein Auszug aus Luthers Erläuterung zur 4. Bitte im Vaterunser: „Unser täglich Brot gib uns heute“ (Großer Katechismus):

„Wenn du das tägliche Brot nennst und darum bittest, so bittest du um alles, was dazugehört, das tägliche Brot zu bekommen und zu genießen … Denn wenn Gott es nicht wachsen ließe, segnete und auf dem Lande erhielte, würden wir nie ein Brot aus dem Backofen nehmen noch auf den Tisch zu legen haben …

Nun gehört zum Leben nicht bloß, daß unser Leib seine Nahrung und seine Kleidung und anderen Bedarf bekomme, sondern auch, daß wir in Ruhe und Frieden mit den Leuten auskommen, mit welchen wir leben und umgehen beim täglichen Handel und Wandel und in allerlei Beziehung; kurz, es gehört alles dazu, sowohl was die häuslichen Verhältnisse als auch was das nachbarliche bzw. bürgerliche Leben und Gemeinwesen angeht …

Und da ist es wohl das Allernötigste, für die weltliche Obrigkeit und das Gemeinwesen zu bitten; denn durch diese erhält uns Gott unser täglich Brot und alle Annehmlichkeiten unseres Lebens am allermeisten …

So will uns Gott zeigen, wie er sich aller unserer Not annimmt und so treulich auch für unsere zeitliche Nahrung sorgt; und obwohl er dies auch den Gottlosen und schlechten Leuten reichlich gibt und erhält, so will er dennoch, daß wir darum bitten. Wir sollen anerkennen, daß wir es von seiner Hand empfangen und darin seine väterliche Güte gegen uns verspüren. Denn wenn er die Hand abzieht, so kann es doch nicht auf die Dauer gedeihen noch erhalten werden, wie man wohl täglich sieht und wahrnimmt.

Was ist es zur Zeit (Luther schreibt dies 1529, also 483 Jahre vor dem Euro-Krisen-Jahr 2012) für eine Plage in der Welt allein mit der schlechten Münze, ja mit täglicher Beschwerung und Preisaufschlägen beim gewöhnlichen Geschäftsverkehr, beim Kauf und bei der Arbeit von seiten derer, die nach ihrem Belieben die liebe Armut drücken und ihr das tägliche Brot entziehen! Wir müssen das zwar leiden; sie aber mögen sich vorsehen, daß sie nicht die Fürbitte der Gemeinde verlieren, und sich hüten, daß dies Stücklein im Vaterunser sich nicht gegen sie wende.“

– Band 1 der Calwer Luther-Ausgabe, Hänssler 1996